Ende März hatte ich beschlossen, dass ich in die Pfalz fahren und einen unserer Winzer besuchen werde. Ich kannte Sven schon von einem unserer kulinarischen Abende, der seinen Weinen gewidmet war. Ich schreibe ihm eine E-Mail und frage, ob ich spontan vorbeikommen und helfen kann. Ich sei herzlich zum Rebenschneiden eingeladen. Ich freue mich.
Es sind die ersten warmen Tage im Jahr und während Bäume und Büsche noch recht karg aussehen, blühen die Mandelbäume entlang der kleinen Landstraße Richtung Mörzheim in ihrer ganzen Pracht. Der Frühling ist da und die Pflanzen erwachen aus ihrem Winterschlaf. Wie ich später von Sven erfahre, wissen das die Reben auch.
Als ich aussteige, bemerke ich sofort die Stille. Kein Straßenlärm, nur das Zwitschern der Vögel. Ein angenehmes Gefühl. Es entspannt mich sofort. Ich gehe über den Hof der Familie Klundt, wo mir als erstes ein großes Bild einer jungen Frau in einem Dirndl und mit Weinglas in der Hand auffällt. 2004-2005 Weinprinzessin. Ich nehme mir vor, Sven später danach zu fragen.
Es ist ein herzlicher Empfang. Frau Klundt, die Mutter von Sven, begrüßt mich sichtlich erfreut. Ich werde direkt zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Spätzle mit Schweinefleisch in einer Pilz-Sahne-Soße und Sven fragt, ob ich dazu schon ein Glas Wein möchte. Natürlich! Er stellt eine mir unbekannte Flasche Riesling auf den Tisch. Ich frage nach. „Ein spritziger Alltagswein“, sagt Sven. Genau das Richtige, denke ich mir.
Sven erzählt von seinen Anfängen als Winzer. Noch während seines Abiturs, kurz vor Beginn des Studiums, hat er gezweifelt, ob er überhaupt Winzer werden möchte. Seit seiner Kindheit und Jugend hatte er im Sommer oftmals im Weinberg mitarbeiten müssen, während die Freunde im Schwimmbad waren. Als Jugendlicher kein großes Vergnügen. Mit der Zeit habe ihn allerdings der Wein und die zahlreichen Facetten in verschiedenen Weinen immer mehr fasziniert. Warum schmecken zwei Rieslinge von demselben Weinberg oder von benachbarten Lagen so grundverschieden? Eine der Fragen, denen er nachgehen musste und ihn umtrieben.
Viele Weine, die aus der Pfalz kommen, und die auch früher zuhauf produziert wurden, waren einfachste Fassweine. Nach seinem Studium konnte Sven sich an seinen eigenen ersten Weinen ausprobieren – seine „Obsession-Weine“. Ein harter Einstieg unter erschwerten Bedingungen, denn 2010 wäre wegen eines massiven Hagelschlags ein richtiges Horrorjahr gewesen so Sven. In Mörzheim, dem Weingutssitz, wurden teilweise die kompletten Erträge von dem Unwetter zerstört. Viele, und er auch, beobachteten ungläubigden Hagel. Es haben gestandene Männer um die Verluste geweint. Auch Sven hatte große Einbußen. Doch die wenigen Weine, die aus diesem Jahr stammen, sind etwas Besonderes geworden.
Während wir gemeinsam draußen auf dem Hof sitzen, geht Svens Blick immer wieder zur Hauptstraße, sobald ein Auto oder Traktor vorbeifährt. Der obligatorische Gruß an Bekannte und Freunde aus dem Dorf. Der Kontakt und das Gemeinschaftliche zwischen den Winzern, und vor allem jüngeren Kollegen, sei hier in der Region sehr gut. Da habe er Glück, meint Sven, da es wohl in anderen Weingegenden ganz anders zuginge. Ich muss direkt an die, sehr schlecht geschriebenen, aber dennoch unterhaltsamen „Food Krimis“ von Tom Hillenbrand denken.
Auf dem Weg zu Svens Weinberg fahren wir durch urige kleine Dörfer mit alten Fachwerkhäusern und sehr engen Straßen. Die Weinlage Kastanienbusch in Birkweiler liegt südlich der Weinstraße, auf einem ansteigenden Berg hoch zum Pfälzer Wald. Sven zeigt auf den dunkelroten Sand und erklärt, dass es sich dabei um roten Schiefer mit einem sehr hohen Eisengehalt handelt. Sven wird sehr spezifisch und ich muss genau mitschreiben.
Wir befinden uns direkt im Oberrheingraben, erklärt er, ein Grabenbruch, der vor tausenden von Jahren entstanden ist. Durch die Dehnung und Verschiebung der Erdkruste und dem Erdmantel sind verschiedene tiefer liegende Erdschichten nach oben geschoben worden. Deshalb die unterschiedlichen Böden in der Pfalz und erklärt denke ich auch seine „Obsession“ mit seinen Lagenweinen.
Der Riesling Kastanienbusch hat durch den eisenhaltigen Boden eine schöne Mineralik, die Sven an den Geruch von Feldwegen nach dem Sommerregen und an Küchenkräuter erinnert. Auch interessant ist der Riesling Obsession, der auf einer anderen Lage mit kalkhaltigen Hangschotter wächst. Dieser hat leichte rauchige Noten, wie von Feuerstein. Egal ob Lagen-, Orts-, oder Gutswein, Sven hat immer das Ziel, harmonische Weine zu kreieren die in sich stimmig sind. Die Gutsweine sind die wilden, die sofort erkannt und getrunken werden wollen, während die Lagenweine tiefer und komplexer sind und bei jedem Schluck immer wieder zum Nachdenken anregen wollen. Generell redet Sven über den Weinberg und Reben, als ob es Personen sind: „Weinberg und Reben wissen schon, was sie machen“, sagt er des Öfteren. Eine schöne und respektvolle Art darüber zu sprechen.
Am Kastanienbusch werden als erstes die Gartenscheren geschliffen. Es ist schön warm, strahlend blauer Himmel und eine leichte kühle Brise mit einer sehr schönen Sicht auf die niedriger liegenden Weinlagen und Dörfer. Wir arbeiten uns an einer Reihe Riesling entlang. Während Sven drei beschneidet, schaffe ich eine. An den abgeschnittenen Enden läuft Wasser heraus. Die Reben „bluten“, so Sven. Jetzt, wo der Frühling da ist, fangen sie wieder an Wasser zu ziehen. Eine Dame hatte ihm mal erzählt, dass der Saft gut für die Augen sei. Ich probiere das Saftwasser natürlich sofort. Es schmeckt leicht süßlich. Sven schneidet und sammelt auch während der Weinlese, vor allem auf den besonderen Weinlagen, nur von Hand. Als er damit angefangen hat, haben die anderen im Dorf gesagt „jetzt spinnt der total.“ Aber für Sven ist alles, was er auf dem Weinberg und im Weinkeller tut, dem Ziel gewidmet einfach sehr gute Weine zu machen.
Sven verzichtet komplett auf Herbizide und bekämpft Unkraut lieber, indem er den Boden leicht umpflügt. Für die Bodenfruchtbarkeit lässt er zwischen den Reben alles wachsen, was eben wächst, wie zum Beispiel Klee oder auch mal ein großer Brombeerenbusch, wenn dieser dort wachsen möchte. Maische und Hefe vom Vorjahr und auch die abgeschnittenen Zweige von den Reben kommen wieder zurück auf das Feld. Alles bleibt also in einem gesunden Kreislauf und findet seinen Weg zurück auf den Weinberg und natürlich in die Weine.
Als Nächstes geht es zum Sektschütteln. Es ist das zweite Mal, dass Sven seinen eigenen Sekt macht. Der erste, sagt er bescheiden und nur auf meine Nachfrage hin, war schon echt gut (ich hoffe in dem Moment, dass wir seinen zweiten auch im Laden haben werden).
Der Sekt wird genau nach der traditionellen Flaschengärung, wie sie in der Champagne praktiziert wird, hergestellt: die „Champagnermethode“. Wir rütteln, bzw. drehen die Position der Flasche von 6 Uhr auf 4 Uhr, bzw. Svens Neffe setzt die Kreidestriche auf 6 Uhr und Sven rüttelt. Ich versuche währenddessen, vergeblich, Fotos im dunklen Keller zu machen. Durch das Rütteln werden die Hefen in der Flasche wieder aufgewühlt und können so weiteren Zucker zu Kohlensäure (deshalb schäumt der Sekt) und Alkohol zersetzen. Mir fällt auf, dass, obwohl Sven sein Handwerk sehr genau nimmt, er eine große Leichtigkeit bei seiner Arbeit hat. Als wir wieder zurück zum Auto gehen, frage ich ihn, wer die Weinprinzessin auf dem Foto auf seinem Hof ist. Seine Schwester, grinst Sven, die unbedingt möchte, dass es endlich mal abgenommen wird.
Zurück bei den Klundts wartet schon die Freundin von Sven. Die frische Luft hat uns hungrig gemacht. Es gibt eine abendliche Brotzeit mit verschiedenen Lagen- und Gutsweinen. Es wird gegessen, getrunken, gelacht und bis in die Nacht über gutes Essen und Trinken geredet. Ich freue ich mich über die Gastfreundschaft der Familie Klundt und genieße vor dem Einschlafen noch mal die unglaubliche Ruhe.
BESUCHT von DESCHNA
TEXT & BILDER DESCHNA