Die Geschichte des Pecorino im Feigenblatt

Die Geschichte des Pecorino im Feigenblatt

Die Geschichte der „Käserei Facchini Walter“ ist sehr besonders. Denn sie zeigt und fasst zusammen, was unsere Arbeit (d.h. von Produzenten, Bauern, Wanderschäfern, Ladenbesitzern, Köchen, „Menschen die Esskultur erhalten wollen“) so schön, spannend, aber auch schwer und oft auch tragisch macht.

Erst bei unserem Besuch bei den Söhnen von Walter Facchini, Felice und Carlo, erfahre ich, dass er bereits seit 2011 verstorben ist. Von den Erzählungen seines Sohnes und je mehr ich über ihn lese, desto mehr empfinde ich große Ehrfurcht für diesen Menschen. Ich stelle mir Walter Facchini als einen Menschen vor, der kein „Nein“ für eine Antwort akzeptiert hat, egal wie viel schwieriger die Alternative sein eigenes und das Leben seiner Familie gemacht hat.

Feigenpecorino in Berlin

Felice führt uns durch die Käserei, die Produktionsräume, das Lager. Es hat keinen Hauch von Romantik. Es wird mit Edelstahlbehältern gearbeitet, die rohen Pecorino liegen für die Zwischenlagerung in Plastiksieben und sind nach der Reifung in Plastik haufenweise im Lagerraum gestapelt. Dann raus zu den Gruben. Nun beginnt der für uns interessante Teil.

Als wir auf den Hinterhof der Käserei kommen, offenbart sich uns eine knallrote Wand mit Che Guevara porträtiert. Hier liegt eine der Gruben, in der die Pecorino von Walter Facchini gereift werden. Ein Hauch von Ironie schwingt in der Luft, der Walter Facchini’s Humor durchblitzen lässt. Denn die sechs Gruben, die er 1999 hier gebaut hat, sind bis heute, fast 20 Jahre später, immer noch nicht von der umbrischen Lebensmittelbehörde aufgrund von “Sicherheitsmängeln“ abgesegnet und somit dauerhafter Streitpunkt zwischen der Familie und den Behörden.

Italienische Käse in Berlin

Doch es wird und wurde immer weiter produziert. Felice erklärt, dass in einer Grube 900 Laibe Pecorino liegen, fest in Leinen eingewickelt und so eng aneinandergereiht, dass fast keine Luft mehr im Keller ist. Dieser wird, wenn er komplett voll ist, zubetoniert. Dann reifen die Käse 9 Monate unter der Erde. In dieser Zeit legt sich ein schneeweißer Schimmel über die ungereiften Käse, wie eine dicke Schneedecke. Nachdem eine gewisse Temperatur erreicht wurde, werden die Gruben wieder geöffnet. Die Gase, die hierbei entstanden sind, sind lebensbedrohlich und die Pecorino dürfen somit nur mit Vorsicht aus den Gruben geholt werden.

Schaftskäse aus Italien in Berlin

Dies ist eine jahrhundertalte Tradition, umbrisch-etruskischen Pecorino herzustellen. Diese hat Walter Facchini wieder zum Leben erweckt. Sie entstammt dem Pastoralismus in einer von Kriegen gezeichneten Zeit, wo die wertvollen Käse in Höhlen oder Gruben vor dem „Feind“ versteckt wurden. Was dabei per Zufall rauskam, war ein von dort natürlich vorkommender Bakterien und einer besonderen Schimmelkultur zubereiteter Pecorino. Eine Art Käse zu machen, die von nun an übernommen wurde, aber schnell wieder in Vergessenheit geraten ist.

Walter Facchini wollte diese Tradition wieder zum Leben erwecken und hat sich auf die Suche dieser besonderen Schimmelpilzkultur gemacht. In Holzfässern hat er versucht, den richtigen Schimmelpilz wiederzufinden und zu züchten. Felice erzählt uns, dass er sich noch gut an diese Zeit erinnern kann. Der ganze Hof war voller Holzfässer, die von weißem Schimmel bedeckt waren. Als kleiner Junge dachte er, dass es Schnee sei. 2008 wurde Walter Facchini für die Wiederentdeckung dieser besonderen Schimmelpilzkultur mit einem Preis ausgezeichnet.

Pecorino in Berlin

Schafsmilch von Wanderhirten aus Umbrien

Doch Walter Facchini hat schon damals gewusst, dass nicht nur der Schimmelpilz für den einzigartig guten Geschmack vom Pecorino verantwortlich ist, sondern auch das Rohprodukt, die Schafsmilch. Diese muss von Schafen stammen, die in den Bergen Perugias grasen. Dafür braucht es Wanderschäfer. Umbrier gibt es keine mehr, die noch Wanderschäfer sind, erzählt uns Felice, stattdessen sind es derzeit Sarden, die mit ihren Schafherden in den Bergen Perugias unterwegs sind.

 

Industriekäse verdrängt handwerkliche gute Produkte

Und hier beginnt nun die Tragik der Geschichte. Durch den Wandel hin zu Massenware in Supermärkten, industrieller Lebensmittelherstellung, kaufen immer weniger Menschen handwerklich hergestellte Lebensmittel. Deswegen wird das Überleben dieses Berufes immer mehr bedroht. Ein tagtäglicher Kampf und Bangen um ihr Überleben, was Walter Facchini und heute auch noch seinen Söhnen schlaflose Nächte bereitet. Denn ohne diese besondere Milch, geschmacklich definiert durch das Futter, welches die Tiere in den Bergen finden, wird auch der Pecorino Käse von Walter Facchini sich verändern. Und es ist einer der besten Pecorino Italiens.

Doch würde es nicht nur keine Milch mehr für den umbrisch- etruskischen Pecorino von Walter Facchini geben, es würde sich auch die gesamte Naturlandschaft verändern. Denn durch die Schafe werden Büsche auf natürliche Art zurückgehalten, Gräser abgegrast, damit diese wieder nachwachsen können und somit die Humusdichte vom Boden anreichern, was noch mehr CO2 speichert und somit dem Klimawandel entgegenwirkt. Es geht bei gutem Essen eben nicht nur um leckere Produkte, sondern auch um den Erhalt von Lebensgrundlagen, Kultur und einer gesunden Natur und unseres Klimas.

Deswegen muss diese Geschichte erzählt werden, denn wer sie nicht kennt, weiß auch nicht, was es beutet gutes, leckeres, handwerkliches Essen zu essen.

Wie Walter Facchini vielleicht selbst sagen würde, was sich hier in einem Käse geschmacklich zusammenbraut, ist ein Resultat aus den Bergsporen aus dem Monte Cucco Park, die sich durch die grünen Täler hindurch in den dunklen Schluchten und letztlich Berghöhlen und Gruben verirrt haben. Der Wanderschäfer und dessen Schafe, die sich am Berggras und Büschen satt fressen. Und der Leidenschaft der „Künstler“, die den Käse handwerklich herstellen, und um dies weiter zu praktizieren sich dadurch gegen Behörden wehren. Und am Ende gehören dazu auch immer die Menschen, die diese Käse, verkaufen, kaufen und essen.

Deswegen muss diese Geschichte erzählt werden, denn wer sie nicht kennt, weiß auch nicht, was es beutet gutes, leckeres, handwerkliches Essen zu essen.  

Später merke ich, dass wir an einem Ort sind, der durch Walter Facchini lebendig gemacht wurde. Durch seinen Tod scheint auch die Seele der Käserei gegangen zu sein. Mit Zitaten von Walter Facchini an den Wänden, Bildern von ihm und seinen Vorfahren und mit seinen Büchern über das Bauerntum, die zum Verkauf ausliegen, scheint man zu versuchen, diese Seele zu bewahren.

BESUCHT von Marco & Deschna
TEXT & FOTOS Deschna