Allein der Weg zum Weingut Clos Fantine ist wunderschön. So stellt man sich die südfranzösische Sommerlandschaft vor. Sanfte Hügel, grüne Weinberge, dazwischen vereinzelt Höfe.
Auf ebensolch einem Hof werde ich von den Geschwistern Andrieu begrüßt. Mein Französisch beschränkt sich leider auf „Bon jour“ und „Merci“, und ähnlich ist es um die Englischkenntnisse meiner Gastgeber bestellt. Doch wie es der Zufall so will, ist heute noch ein weiterer Besucher auf dem Hof: Jeffrey ist Weinladenbesitzer und Sommelier aus St. Etienne und wollte eigentlich gerade in sein Auto einsteigen, um mit Wein beladen wieder zurück zu fahren. Da Jeffrey jedoch ein Gentleman der alten Schule ist, beschließt er kurzerhand da zu bleiben und als Übersetzer zu fungieren.
Also ziehen wir gemeinsam los in die Weinberge der Andrieus. Gleich am Anfang bleiben wir an einer Schiefermauer stehen und Corine, die älteste der Geschwister, erklärt mir die drei verschiedenen Arten von Schiefer und ihre Eigenschaften in Bezug auf Wein. Der blaue Schiefer ist der härteste und schwierig für Wein, der graue hingegen ist weicher und zerbrechlicher. Die Reben finden in seinen Zwischenräumen Platz für die Wurzeln, zudem speichert er Wasser. So hat der Wein auch in sehr heißen Sommern genügend Wasservorräte zur Verfügung. Der rote Schiefer ist ähnlich fragil wie der graue, aber mit Eisen versetzt. Die Art des Schiefers ist zwar ein sehr wichtiger Punkt, so Corine, aber letztlich nur einer der geschmacksgebenden Faktoren für den Wein.
Auf den 23 Hektar wachsen neben bekannten Rebsorten wie Syrah, Grenache, Carignan und Mourvedre auch zwei sehr alte, autochthone Sorten der Region Languedoc. Die Aramon-Rebstöcke (rot) sind über 80 Jahre alt und wurden von Corines Vater gepflanzt. So auch der Terret, eine sehr alte weiße Rebsorte, die lange Zeit nicht mehr genutzt und erst von den Geschwistern wiederbelebt wurde.
Ihr Vater war es auch, der ihnen die Philosophie des Respekts gegenüber der Natur mitgegeben hat. Diese Naturverbundenheit kann man fühlen, wenn man zwischen den Rebstöcken steht. Überall grünt und blüht es, die Luft ist erfüllt vom Duft des wilden Fenchels, der Minze und zahlreicher anderer Kräuter. „Alles ist wie eine große Community der Pflanzen“ erklärt uns Corine.
„Jede Pflanze hat ihre Berechtigung, die Reben wie das Gras. All das kann man später im Wein schmecken.“
Denn im Gegensatz zum „normalen“ Wein, wird bei der Gärung eines Vin Naturell keine Hefe zugesetzt, sondern ausschließlich mit natürlichen oder wie man auch sagt wilden Hefen gearbeitet. Diese wilden Hefen befinden sich im Weinberg in der Luft und gelangen über diese an die Trauben. Sie bleiben regelrecht auf den Trauben haften. Diese Hefen sind der Grund, warum der Wein die Aromen der umliegenden Pflanzen widerspiegelt.
In den Weinbergen der Audrieus bleiben alle Pflanzen stehen. Denn neben den geschmacksgebenden „Aromen“ im Wein, halten sie auch den Boden locker und schützen ihn vor dem Austrocknen. Von Mai bis Dezember weiden Schafe zwischen den Reben, um so das Gras unter Kontrolle zu halten. Das ist praktisch auch der einzige „Dünger“. Ansonsten ist der Boden absolut unbehandelt. Corine sagt:
„Ich kann die Energie im Weinberg spüren. Hier ist eine gute Energie. Wenn ich neben konventionellen Reben stehe, dann ist diese Energie weniger oder fast weg.“
Eine weitere Besonderheit, die uns auffällt ist, dass die Reben nicht an einen Draht gebunden werden, sondern in einer Buschform wachsen. Corine nennt diese Form „Gobelet“ – das französische Wort für Glas. So sind die Trauben vor der Sonne geschützt, die hier im Sommer unerbittlich vom Himmel brennt.
Ab und zu stirbt aber auch mal eine Rebe, so dass sie durch eine neue ersetzt werden muss. Statt aber Reben zu kaufen, wird ein Absenker aus der benachbarten Pflanze gezogen. Zwei bis drei Jahre dauert es, bis so eine neue Rebe gewachsen ist.
„Die Natur braucht nun mal genau die Zeit, die sie braucht.“
Während wir von einem Weinberg in den nächsten gehen, erzählt Corine ihre Familiengeschichte. Bereits die Großmutter hat auf drei Hektar Wein angebaut und diese an Corines Vater vererbt. Er hat dann weitere Hektar dazu gekauft, allerdings selbst keinen Wein gemacht, sondern die Trauben über eine Kooperative verkauft. Als die Geschwister nach dem Tod ihres Vaters die Weinberge übernahmen, sind sie aus der Kooperative ausgetreten und haben begonnen, ihren ersten Wein herzustellen. Das war 1996. Anfangs haben sie den Wein noch auf die klassische Art und Weise gemacht. Doch schnell war die Entscheidung klar, dass der natürliche Prozess. der im Weinberg abläuft auch im Weinkeller weitergehen muss.
Seit 2000 verwenden sie nur noch die Hefen des Weins. Seit 2004 wird der Wein nicht mehr geschwefelt. Corine vergleicht ihre Wein-Philosophie mit der Erziehung von Kindern:
„Mit dem Wein ist es wie mit Kindern. Wenn sie klein sind, sind sie voller Freude und Offenheit. Werden sie älter, presst man sie in Konventionen und Schablonen. Warum lassen wir sie nicht in Freiheit erwachsen werden? Das fördert die Schönheit.“
Diesem Ansatz folgend, werden die Rebsorten getrennt voneinander nicht in Holzfässern sondern in Betontanks ausgebaut und zwar samt Stiel und Schale. So bleibt die Charakteristik des Jahrgangs und der Rebe erhalten. Erst nach der Fermentation werden die Weine assembliert. All das erfordert ungemeines Feingefühl, Intuition und viel Herz.
Als ich endlich den ersten Schluck des „Valcaribieres“ aus den Terret-Trauben trinke, schließe ich die Augen und denke „Wahnsinn. Es stimmt. Man kann das alles schmecken und irgendwie fühlen. Schmeckfühlen! Ja, genau das ist es, was einen Vin Naturell so besonders macht.“
BESUCHT von MANU
TEXT & FOTOS MANU